Keine bauchigen Schränke mit geheimen Verstecken, sondern alles wohl geordnet, auch wenn es ungezähmt herumliegt. Ein schmuckes, mit winzigen Diamanten gewirktes Netzkäfig hängt spinnenlos vom Lampenschirm, zierliche Schmuckstücke präsentieren sich wie Delikatessen.
Da ist noch eine kleine, robuste Waage. Und da ist die Flamme, wo sie das Gold bei 600 Grad ausglüht. Die Walze rattert. Lucie nimmt einen goldenen Rohling, walzt ihn zu einem langen Vierkant und zieht ihn zu einem dünnen Draht. Nur so zum Zeigen.
Gegenüber an der Wand hängen aufgefädelte bunte Korallen und Stränge von kleinsten Edelsteinperlen. Sie warten auf ihren Einsatz. Lucie flicht mit den Anfangsbuchstaben der Steine geheime Botschaften in Ketten und Armbänder – Lucie in the sky…, my precious heart…
Schmuck kommt dann zur Geltung, wenn er getragen wird. An Vali zeigt Lucie die Schmiegsamkeit ihrer Gehänge, die sich voller Anmut an den Körper legen. Sie hantiert an einer langen Kordel, die aussieht wie geflochten und ist es doch nicht. Es sind goldene Miniteile von Drähten, die sie mit der Zange kneift, biegt und dreht. Es ist ihre goldene Schlange, fingerdünn, beweglich, buchstäblich schlängelnd und meterlang. Abertausende gelenkartige Teilchen, alle selber gefertigt, alle gezählt und in Döschen nach Grösse geordnet, das Grösste kaum ein paar mm lang, die sie einflechtet, Schuppe um Schuppe um Schuppe.
Ein endloses Hinzufügen, wiederholen und weiterschreiten. Sie lässt nicht locker. Die Stücke werden kleiner, um die abnehmende Rundung des Körpers anzugleichen. Stolz hält sie die Schlange empor, die sich windet und dreht, davonrascheln will.
«Ich liebe die Wiederholung, das Immergleiche,» so Lucie. Es ist der Puls, der stete Pulsschlag der Poesie, bekannt aus Spiel und Ritual, Wiederholungen als Gegenstück zum menschlichen Verlangen nach immer Neuem, Unerhörtem. Da sitzt sie, versunken in ihr Tun, Hand und Auge verschworene Verbündete, die Sinne in höchster Bereitschaft, beinahe in Trance. Sie wird sich selbst in eine Schlange verwandeln.
Ihr Blick schweift über die Wiese zu den noch nicht von Wind und Wetter zernagten Skulpturen ihres Vaters und weiter über die Wasser des Sees und zur Kette der mächtigen Berge, wo Zwerge und Kobolde ihre noch unentdeckten, goldenen und silbrigen Schätze hüten.
Oben an der Wand ein Bücherbrett, Der Kleine Prinz, seit ihrer Jugend ein steter Begleiter. Er begegnet auch einer Schlange: «Du bist nicht sehr mächtig … Du hast nicht einmal Füsse … Du kannst nicht einmal reisen.» «Ich kann dich weiter wegbringen als ein Schiff», sagt die Schlange und rollt sich um den Knöchel des kleinen Prinzen wie ein goldenes Armband. Lucies goldene Schlangen sind weltweit gereist.
Auf dem Tisch die Novelle Madame De von Louise de Vilmorin, der ersten Geliebten von Antoine de Saint- Exupéry, in der ein paar edle, herzförmige Diamantohrringe im Reigen und Rausch der Liebe ihre Besitzer wechseln. Erneut setzt sich die Goldweberin zu ihrer goldenen Schlange, noch über 1000 Teilchen müssen sich zu Schuppen verwandeln.
TS