Die Ausbildung zum Grafiker an der Kunstgewerbeschule in Basel war ihm zu theoretisch, so wechselte er an die Schule für Gestaltung in Luzern, die ihn später als Zeichenlehrer anstellte. Im Unterricht doziert er nicht; viel wichtiger ist ihm, mit den Studenten mitzuzeichnen, so merke er, wo die Schwierigkeiten liegen.

Jörg gestaltet die Einbände der Perlenreihe und illustriert die Bücher im ortsansässigen knapp-Verlag, etwa den berüchtigten König von Olten, den schwarz-weissen Kater, der in der Reportage von Alex Capus die kluge Fähigkeit besass mit einem Sprung geschlossene Türen zu knacken. Capus hat er als jungen Schriftsteller porträtiert, in fürstlicher Pose, und Pedro Lenz in erhabener Haltung. Zu Jörgs Modellen zählten Politiker, Berufskollegen, Freundinnen, Tänzerinnen und schillernde Figuren aus seiner Umgebung, ein kleines Welttheater.

«Mir grauts vor der weissen Leinwand,» so Jörg, «Um anzufangen, muss ich das Weisse einfärben, erst dann wage ich zu arbeiten.» Er stellt den Menschen nach, die er porträtieren möchte. Seine Werkstatt ist ein geräumiger Schauplatz im ehemaligen Stellwerk Olten. Der Duft von Farbe dringt auf uns ein, unzählige Farbtuben liegen gesellig auf Tischen, zum Einsatz bereit. Jörg arbeitet unermüdlich. Grossformatige Gemälde sind aufgereiht an Wänden und Gestellen bis in den Loft. Der Boden selbst ein klecksiges Gemälde.

Binz blättert in seinem jüngst erschienen Buch JB Zeichner Maler (Edition Patrick Frey). Mitten drin grüsst eine Figur, die aus einem Gullydeckel steigt. Auf der Gegenseite eine bunte Tapetenlandschaft aus Ornamenten, die Paragraphen ähneln. Jörgs Vater war Richter. Jörg zeigt uns den Tiger, wie man ihn nannte, vormals Wirt in der Waadtländerhalle; ein Hüne strotzend von unbändiger Lebensfülle, gebieterisch, schwergewichtig, launisch und laut. Er wagte nicht, ihn selber zu fragen, wandte sich scheu an die Serviertochter, ob sie ihn bitten könne für ein Porträt. Sie fackelt nicht lange, geht schnurstraks zu ihm, er ist einverstanden. Schwer keucht er für die Sitzungen die steilen Stiegen hinauf, sinkt gefährlich in den zu engen Lehnstuhl – (grad i dem woni jetz dinä hocke)  – und schläft ein. Mit Klopfen müsse er ihn immer wieder wecken. «Er muss wach sein, mich anschauen, sonst kann ich ihn nicht malen.» Nun sitzt der Tiger als Porträt im besagten Stuhl, breitbeinig, entspannt, gezähmt und blickt mit einem Anflug von Staunen zum Maler.

An der Wand ein von einer Dame berittener Vogel Strauss im Grossformat, dessen ungelenke Form und Einsatz in Wettrennen ihn schon immer entzückt hat. Gegenüber das bezaubernde kleine Porträt von Madame Carina, wie sie in sich hinein lächelt mit geschlossenen und dennoch zwinkernden Augen. Woran denkt sie wohl, worüber lächelt sie so für sich hin? Da packt es den Bildbetrachter, sodass er wie Tamino in Mozarts Zauberflöte ausrufen möchte: «dies Bildnis ist bezaubernd schön!»

Die zahlreichen Porträts zeugen von Jörgs Liebe zum Menschen. Diese sind nicht nur rationale Wesen, sie sind vielmehr ständigen, schwankenden Stimmungen unterworfen; sie sind betrübt, beherzt, zornig, verliebt, vergnügt…Wie etwas auf die Fläche der Leinwand bannen,  das sich im Innern abspielt und sich ständig wandelt? Sogar der verlassene Korbstuhl zeugt von diesem Interesse: er erwartet jemanden. Der farbige Glanz des Stofflichen, die Lichtflecken, die sich im Geflecht verfangen, offenbaren die grosse Lust am Malen.

Die Tierstücke, die Katzen und Hunde, welche die Porträts oft begleiten, unterstreichen ihr enges Bündnis mit den Personen. Frühmorgens, noch vor den Öffnungszeiten, hat Jörg jeweils die 2018 verstorbene Goma, das erste in Europa geborene Gorillakind, im Basler Zoo aufgesucht und gezeichnet. Sie kannten einander; Goma begrüsste ihn jeweils am Gitter. Kamen andere Besucher hinzu, kehrte sie ihnen den Rücken.

Die zahlreichen Selbstbildnisse bedienen alle Lebensphasen, von den turbulenten Lehrjahren bis zu den stillen Metamorphosen des Alterns. Der diskrete Charme dieses Aussenseiters leuchtet weiter. Das letzte Selbstporträt liegt schon einige Jahre zurück, Zeit für ein neues. Das elektrische Licht ist vorhanden, der Spiegel an der Wand bereit, das Bild gottähnlich, nicht gottgleich, eben ein Ebenbild.

TS