Und mit einem Flair für Film und Architektur. Beide mit geschärftem Blick und wachem Geist. Beide über 80, aber offensichtlich in einen Jungbrunnen gefallen. In ihrem Fall heisst der Jungbrunnen Arbeit. Respektive die Freude daran. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit sind bei ihnen fliessend. Denn Passion trägt keine Uhr.
Wir sitzen in der gemütlichen Stube Ihres Bauernhauses. Gleichsam ein Ort der Behaglichkeit und Inspiration. Voll mit Büchern, lauschigen Nischen und vielen Geschichten, die in der Luft zu wabern scheinen. Vor der Türe ein schöner wilder Garten mit Aussicht auf den See. Dieser Platz ist magisch.
Und er passt zu einem Paar, das so anders als andere ist. Und das so viel zu erzählen hat, dass man ihr Leben eigentlich verfilmen müsste. Weil schon die Geschichte ihres Kennenlernens filmreif ist. Die Szene: Ein Passagierschiff in einem Sturm auf dem Atlantik. Catherine war auf der Rückreise nach New York nach einem Studienaufenthalt in Deutschland. Er unterwegs zu einem Sprachaufenthalt in den USA. Ihr Tisch im Speisesaal war leer, da alle seekrank waren. Alle, bis auf Catherine und einen kleinen Schweizer, der fasziniert vom Meer und den riesigen Wellen war. Und so ergab es sich, dass die beiden am Tisch für acht Personen bei den Mahlzeiten meistens allein sassen – sie am einen, er am anderen Ende. Irgendwann sind sie dann zusammengerückt. So begann die gemeinsame Schweizer Zeit inmitten Windes und Wetters. Die Ehe war also schon sturmerprobt, bevor sie überhaupt begann.
Wir sprechen über Gott und die Welt. Und natürlich über Catherine und Tarcisius. Ich möchte mehr über sie erfahren. Doch mit einem üblichen Frage-/ Antwortspiel hat dies nichts zu tun. Immer wieder gibt es kurze Einschübe, schweifen wir ab und sind plötzlich bei einem anderen Thema. Oder es kommt so: Während ich gebannt den Ausführungen Cathrins lausche, schweift mein Blick in die Küche und verharrt auf der offenen Backofentür. Dahinter verbirgt sich ein dampfendes Blech mit köstlicher Apfelwähe. Und wie das duftet!
Dann sind wir beim Thema japanische Salatsauce. «Ich habe ein neues Rezept ausprobiert, meint Tarcisius. Mit Sake, Ingwer, Sesamöl und Zucker». «Aber nicht zu viel, wirft Cathrin ein, zu süss darf sie nicht sein.»
Während ich das muntere Gesprächschaos zu ordnen versuche, steht unvermittelt Tarcisius vor mir. Wortlos reicht er mir ein kleines Gefäss, an dem oben am Deckel eine Kurbel befestigt ist. Ich öffne ihn und erblicke flüssigen Rahm. Aha. So halte ich mit der linken Hand das Gefäss und beginne mit der rechten Hand an der Kurbel zu drehen, auf dass sich der Aggregatzustand des Rahms bald verfestigen möge.
Catherine spricht unablässig weiter. 1937 in London geboren, in den USA aufgewachsen, B.A. am Barnard College, Columbia University, N.Y. Danach arbeitete sie zwei Jahre im Peace Corps von John F. Kennedy in Arequipa, Peru. Dort war sie auch als Sozialarbeiterin im Gefängnis tätig. Danach zog sie in die Schweiz und ist seit 1973 als Übersetzerin tätig.
Ausgezeichnet mit dem Prix Meret Oppenheim. Ein Schweizer Kunstpreis, der seit 2001 vergeben wird und bislang das einzige Mal für Übersetzungen verliehen wurde. Es zeigt die ausserordentliche Leistung von Catherine.
«Film und Theater haben mich von Anfang an interessiert. Meine Kenntnisse der zeitgenössischen Kunst haben sich vor allem beim Übersetzen der Beiträge für die Kunst-Zeitschrift «Parkett» (erschien von 1984 bis 2017 in Zürich und New York) vertieft. Und ich bin dann einfach so hineingewachsen».
«So, jetzt möchte ich noch ein paar Worte mit deinem Göttergatten wechseln», sage ich zu Catherine. «Gut, ich pfeife ihm.» «Bitte?» Catherine pfeift. Kurz darauf sind Schritte auf der Treppe aus dem oberen Stock zu hören. Lachend betritt Tarcisius die Stube. «In diesem Haus wird gepfiffen», meint er. Ich schaue Catherine an. Sie lächelt. «Siehst du …».
Es sind genau diese Momente. Die Schelberts sind die Schelberts. Nicht die Meiers, nicht die Müllers. Die Schelberts sind einzigartig. Manchmal etwas schräg, voller Witz und Ironie, unterhaltsam, herzlich. Und vor allem dieser Humor. Manchmal kommt er scharf um die Ecke gebogen und direkt auf einen zu. In einem anderen Moment schleicht er sich von hinten an und überrascht den ahnungslosen Empfänger mit subtilem Charme.
Tarcisius nimmt mich in sein Arbeitszimmer mit, während meine Begleitung Aytac fleissig Fotos schiesst und sich zwischendurch an der Wähe gütlich tut. Wir sprechen über seine Tätigkeit als Anglist und Germanist an der Uni Zürich, seine Aufenthalte in England und in den USA. Und natürlich auch übers Übersetzen. Aber im Gegensatz zu seiner Frau übersetzt er vom Englischen ins Deutsche. «Und das sehr gut», wirft Catherine ein, die sich mittlerweile zu uns gesellt hat. «Aber gegen dich komme ich nicht an», meint Tarcisius lächelnd.
Das glaube ich allerdings nicht ganz. Der Mann versteht Sprache. An der Luzerner Kunstgewerbeschule hat er Grafikern Linguistik unterrichtet. Er schrieb und schreibt heute noch wunderbare Texte, hat Schulbücher für den Lehrmittelverlag Zürich verfasst. Tarcisius ist ein Poet der Sprache. Ein Wortverrückter. Unter seinem verwuschelten Haupthaar schaut mich ein gütiges Gesicht aus Weisheit und Würde an. Seine Augen leuchten und man hat in diesem Moment das Gefühl, als sässe ein Bub vor einem, der gleich wieder etwas ausheckt. Ja, den Schalk hatte er schon immer im Nacken. Der erste Satz seiner Dissertation hiess: «Women are so much nicer than men. No wonder we like them».
Während des Gesprächs kommen wir darauf, dass ich lange Jahre in der Werbung gearbeitet habe. «Da habe ich was für dich», frohlockt Tarcisius, springt auf und holt aus dem Bücherregal eine Ausgabe der Kulturzeitschrift «Du» von März 1992. Titel: Das sog. Kreative. Er drückt mir das Exemplar in die Hand. Darin finde ich einen Text von ihm. Über die Sprache als Prototyp menschlicher Kreativität. Ich bin gleichsam erfreut und gerührt über das Geschenk.
Catherin und Tarcisius gehören zum Team von Feldmann Kultur und werden auch in Zukunft ihre ausserordentlichen Talente einbringen. «Was würde euch denn Spass machen?», frage ich in die Runde. «Interviews mit Künstlern, Texte über vergessenes Handwerk, unbekannte Orte, vielleicht auch über das Essen und Trinken». Ich nicke und freue mich im Geiste schon auf viele schöne und spannende Projekte mit diesen beiden Nimmermüden.
Wir müssen leider schon wieder aufbrechen. Kurz vor der Türe kommt Catherine herbeigeeilt, sie hält zwei Stück Wähe in der Hand. «Du hattest noch gar kein Stück, ich gebe dir die auf den Weg mit», meint sie und übergibt mir die feine Wegzehrung. Ich bin noch nicht zur Tür hinaus, da höre ich Catherine «Moment!» rufen. Sie verschwindet kurz und kehrt mit einem Tellerchen Schlagrahm zurück. Mit einem Löffel verteilt sie zwei grosszügige Kleckse Rahm auf der Wähe. «Much better with whipped cream», meint sie lächelnd. Ich lächle zurück. Das Leben kann so schön sein. Und wenn man Catherine und Tarcisius kennenlernen darf, ist es das Sahnehäubchen obendrauf.